Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten by Axel Hacke

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten by Axel Hacke

Autor:Axel Hacke [Hacke, Axel]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Verlag Antje Kunstmann
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


KEIN GEDANKE. NIRGENDS

DIE BEIDEN SITZEN im Wohnzimmer nebeneinander auf einem mattweißen Zweisitzer von Cianfranco de Fumetti, also ziemlich eng beieinander. Er trinkt dreizehneinhalb Jahre alten Whisky, sie ein Bier aus der Flasche. Das Licht im Zimmer ist gedämpft. Ein weißer Halogenstrahler, geschaffen in den Werkstätten von Jeanpierre Würth, beleuchtet ein 2 x 2 Meter großes Bild hinter dem Sofa, ungegenständlich, wild, von Mike Cholesterini (New York 1987), hauptsächlich in den pastos aufgetragenen Farben Rot, Gelb, Grün, rechts unten auch Schwarz. Er liest Zeitung.

Sie: »Hast du heute Scholkemeier angerufen?«

Er: »Warum?«

Sie: »Musst du immer ›warum‹ fragen?«

Er: »Warum? Frage ich immer ›warum‹?«

Sie: »Merkst du es nicht selbst?«

Er: »Nein, wieso?«

Sie: »Schon wieder.«

Er: »Was?«

Sie: »Immer beantwortest du Fragen mit einer Gegenfrage. Warum, warum? Wieso, wieso?«

Er: »Es könnte ja mal sein, dass du einen Grund hast für das, was du sagst.«

Er denkt, dass er Whisky nicht mag und ihn bloß trinkt, weil er es stilvoll findet, dreizehneinhalb Jahre alten Whisky auf einem mattweißen Sofa von Fumetti zu nehmen. Außerdem ärgert er sich, dass sie Bier aus der Flasche trinkt und nicht aus den schönen Gläsern, die sie doch besitzen. Sowieso wäre ihm lieber, sie würde Rotwein trinken, das würde besser zu dem Cholesterini an der Wand passen. Erst gestern hat er zwei Kartons Cepparello geholt, die sollen auch nicht bloß im Keller herumliegen. Dauernd kauft er Wein, und sie trinkt ihn nicht. Soll er sich allein zersaufen an diesen Beständen?

Sie: »Ich verstehe nicht, warum du so aggressiv bist.«

Er: »Bin ich aggressiv? Was redest du für idiotischen Blödsinn?«

Sie: »Scholkemeier – hast du ihn angerufen?«

Er: »Nein.«

Sie: »Warum nicht?«

Er: »Lass doch die Gegenfragen.«

Sie: »Ich meine es ernst.«

Er: »Ich hatte den ganzen Tag zu tun, ich bin nicht dazu gekommen.«

Sie: »Dann ruf ihn doch jetzt an.«

Er: »Jetzt bin ich zu müde. Irgendwann brauche ich mal Ruhe.«

Plötzlich ist auch etwas Blau auf dem Bild an der Wand, Rot und Grün treten dafür zurück, Schwarz kriecht von unten her zur Bildmitte. Im Raum schwingt die sanfte, tiefe Stimme eines berühmten Partnertherapeuten. »Streit?«, sagt er singend und gedehnt, »toben Sie ihn im Bett aus. Sie bauen dabei Alltagsspannungen ab. Geschlechtsverkehr kann eine plötzliche Krise Ihrer Beziehung beenden. Aus Streit kann eine Turbonacht werden.«

Sie: »Die Kinder haben bei diesem Scheißwetter den ganzen Tag im Haus gespielt. Roderich hat in die Küche gepinkelt, Marie-Claire hat die Sachen aus ihrem Kleiderschrank im ganzen Zimmer verteilt. Mir tut der Rücken so weh, ich kann kaum noch sitzen.«

Er: »Bin ich deshalb weniger kaputt, weil dir auch das Kreuz wehtut?«

Sie: »… aber ich wollte dich nur trösten, indem ich dir sage, dass du nicht allein so müde bist.«

Er: »Man macht sich den ganzen Tag fertig, knechtet, schuftet, und das Einzige, was man hört, sind Relativierungen. Kein Trost, kein Verständnis.«

Fünf Minuten Schweigen. Er versucht zum dritten Mal, einen Artikel über eine politische Verwicklung in Gabun zu Ende zu lesen.

Sie: »Immer liest du, statt mit mir zu sprechen.«

Er: »Wir können gerne miteinander reden, aber eben ist geschwiegen worden, und ich habe in dieser Zeit Zeitung gelesen. Wenn etwas zu sprechen gewesen wäre, hätte ich die Zeitung sinken lassen, aber es ist ja nichts gesagt worden.



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